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Warum Studentengeschichte?

Studenten sind eine juristisch, kulturell und gesellschaftlich relativ geschlossenen Gruppe. Denn den deutschen Studenten zeichnen mehrere Faktoren aus: Zunächst ist das Studententum ein zeitlich begrenzter Zustand junger Erwachsener, die ein ausgeprägtes, studentische Traditionen weitergebendes Gruppenbewußtsein aufweisen und daher wenig soziale Kontakte zu anderen Schichten pflegen. Studenten sind familiärer Sorgen weitgehend ledig, auf Grund des deutschen, wissenschaftlichen und nicht erzieherischen Studiensystems in ihrem Tun und Lassen ausgesprochen unabhängig und wegen ihrer vorrangig geistigen Beschäftigung wenig auf vorhandene Denkmodelle fixiert.

Besonderen Nachdruck verleihen studentischem Engagement die berufliche, soziale und finanzielle Ungewißheit, der instabile Sozialstatus: Studenten sind noch nicht gesellschaftlich integriert und stehen daher auch Kompromissen weitgehend ablehnend gegenüber. In ihren politischen Ideen und Idealen neigen Studenten deshalb zum Rigorismus und glauben, sie seien verantwortlich dafür, daß zum Segen zukünftiger Generationen eine Gesellschaftsordnung errichtet werde, und alle Opfer die sie von der gegenwärtigen Erwachsenengesellschaft verlangen, seien durch das glorreiche Endziel gerechtfertigt.

Studenten konstruieren eine ideale Gesellschaft, die für die eigenen und wirkliche oder vermeintliche fremde Ängste eine günstige Lösung bietet. Zudem: Bis weit in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein begriffen die Gesellschaft wie die Studenten sich selbst als Elite, die als Akademiker die führenden Positionen des öffentlichen Lebens einnehmen würden, woraus letztlich "das für eine Avantgarderolle unerläßliche Selbstbewußtsein" entstand. Damit einher ging eine anhaltende Überschätzung der eigenen Rolle, aber auch eine "Seismographenfunktion gesellschaftlicher Veränderungen", wie der Münchner Historiker Thomas Nipperdey schrieb. Der Kölner Historiker Otto Dann billigte den studentischen Vereinen und Verbindungen für die politische Kultur des bürgerlichen Deutschland sogar von jeher eine Leitfunktion zu.

Während der keinem Verein, keiner Verbindung oder Korporation angehörende Student nur mehr die Statistik bereichert und mangels Hinterlassung von Quellen für die Geschichtsforschung kaum greifbar ist, hat der Beitritt zu einer Verbindung - das "Aktivmelden" - den Charakter eines (weltanschaulichen) Bekenntnisses. Der Student gewinnt Konturen, indem er für die Prinzipien seiner Verbindung einsteht und sie lebt. Aber durch die Traditionspflege der Korporationen überlebt er auch, bleibt er in seiner Zeit für die folgenden Generationen sichtbar, wird Beispiel. Der Innsbrucker Historiker Michael Gehler stellte folglich fest: "Studentengeschichte ist in erster Linie Geschichte der Korporationen." Dabei muß allerdings klar sein, daß sich hinter ähnlichen Lebensformen gänzlich verschiedene Zielsetzungen verbergen, die von der betont "deutschen" Burschenschaft bis zu den katholischen Korporationen der Zeit nach dem Kulturkampf reichen.


Zur Entstehung einer Geschichte der Studenten
Bereits im 19. Jahrhundert begann die Beschäftigung mit der Geschichte der Studenten. Allerdings: Während sie in den Universitäts- und Hochschulgeschichten als Geschichte der Wissenschaft und der Institution meist ausgeklammert blieb, die kopfstärkste Gruppe in der Universität außer in Zeiten besonderer politischer und gesellschaftlicher Aktivität (1815 ff., 1848/49, 1880 ff., 1918/19, 1968) nicht beachtet wurde, entstand eine "Laien-Wissenschaft", eine Wissenschaft der Liebhaber mit eher antiquarischer Ausrichtung, die sich der Studenten annahm und deren Träger sich meist aus dem Kreis der Korporationen rekrutierten.

Wilhelm FabriciusFür die neue Wissenschaft entstand 1912 der Begriff der "Hochschulkunde". Er meint eine Disziplin, die sich wesentlich aus Wissenschafts-, Universitäts- und Studentengeschichte zusammensetzte und vielfältigste Beziehungen zu anderen Gebieten unterhielt. Ein erster Ertrag dieser neuen Richtung waren das Werk des Marburger Bibliothekars Wilhelm Fabricius' (1857-1942), Alter Herr der Corps Starkenburgia Gießen, Guestphalia Jena und Teutonia Marburg, über "Die deutschen Corps. Eine historische Darstellung der Entwicklung des studentischen Verbindungswesens in Deutschland bis 1815, der Corps bis in die Gegenwart" (o. O. 1898, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1926), und die "Bibliographie der deutschen Universitäten. Systematisch geordnetes Verzeichnis der bis Ende 1899 gedruckten Bücher und Aufsätze über das deutsche Universitätswesen" (3 Bde., Leipzig, Berlin 1904 und 1905; Nachdruck Hildesheim 1965, Mikrofiche-Ausgabe 1993) der beiden Burschenschafter Wilhelm Erman und Ewald Horn.

Früh setzten Bemühungen zur Lozierung der Studententhematik in die relevante Geistes-, Kultur-, Sozial-, Struktur- und Mentalitätsgeschichte ein: Die Burschenschaften gründeten 1908/09 unter maßgeblicher Ägide der Historiker Friedrich Meinecke (Burschenschaft Saravia Berlin) und Heinrich Ritter von Srbik (Burschenschaft Gothia Wien) die "Burschenschaftliche Historische Kommission" - heute: Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V. - und richteten ein Archiv zur burschenschaftlichen Geschichte ein. Zur Jahreswende 1910/11 erschien der erste Band der "Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung", dem noch etliche folgen sollten.

Heinrich Ritter von Srbik   Friedrich Meinecke

Heinrich Ritter von Srbik

 

Friedrich Meinecke

Beschleunigend und befruchtend wirkten die Stuttgarter Studentenkunstausstellungen von 1908 und 1913 und die Sonderausstellung "Der Student" auf der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (Bugra) 1914 in Leipzig. In diese Zeit fällt auch die erste Auflage von Friedrich Schulzes und Paul Ssymanks (Sängerschaft Gotia Göttingen) "Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart" (München 1910, 4. Aufl. 1932; Nachdruck Schernfeld 1991), in dem zuerst eine Zusammenschau der Geschichte deutscher Studenten versucht wurde und das auch heute noch ein grundlegendes Werk ist.

Paul SsymankNach dem Ersten Weltkrieg faßten die Hochschüler auf dem ersten Deutschen Studententag 1919 in Würzburg einen Beschluß zur Erforschung der eigenen Geschichte. Es entstand das von der Hochschulkundlichen Vereinigung e. V. getragene "Hochschularchiv der Deutschen Studentenschaft" in Göttingen unter der Leitung Paul Ssymanks, das eine Sammelstelle für studentisches Schriftgut aller Art sein und das Werk Wilhelm Ermans und Ewald Horns fortführen sollte. Die hochgesteckten Ziele ließen sich in der Nachkriegszeit nicht verwirklichen, 1923 verlegte das Hochschularchiv nach Berlin, 1929 war die Verlegung nach Frankfurt a. M. im Gespräch. Hier erteilte die Universität den zweiten Lehrauftrag für Hochschulkunde, nachdem auf Anregung des Göttinger Historikers Prof. Dr. Karl Brandi 1920 der erste dieser Art an Paul Ssymank erging. Er nahm ihn bis 1938 wahr.


Weiterführende Literatur

Paul Ssymank: Das Hochschularchiv der Deutschen Studentenschaft und seine Ausgestaltung. Eine Denkschrift, Göttingen 1920 (= Schriften der Deutschen Studentenschaft, Heft 9).

Harald Ssymank: 40 Jahre Tagungen deutscher Studentenhistoriker, in: Der Convent. Akademische Monatsschrift 16 (1965), S. 145-172.

Harald Lönnecker: Besondere Archive, besondere Benutzer, besonderes Schrifttum. Archive akademischer Verbände, in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen 55/4 (2002), S. 311-317, auch in: www.Burschenschaftsgeschichte.de (1. Januar 2003).

Harald Lönnecker: Archive und Archivare, Benutzer und Forschungen, in: Bernhard Grün (Hg.): Die Arbeit des Studentenhistorikers. Vom Archiv zum Buch, Köln 2003 (= Kleine Schriften der GDS, Nr. 17), S. 8-29.

Harald Lönnecker: Das Thema war und blieb ohne Parallel-Erscheinung in der deutschen Geschichtsforschung - Die Burschenschaftliche Historische Kommission (BHK) und die Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V. (GfbG) (1898/1909-2009). Eine Personen-, Institutions- und Wissenschaftsgeschichte, Heidelberg 2009 (= Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, Bd. 18), S. 209-214

Thomas Raveaux: Hochschulkunde - Prototyp einer interdisziplinären Wissenschaft?, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 51 (2006), S. 315-334. Abruf hier im Internet als PDF Dokument, Größe 97 KByte.

 

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